Die inzwischen populäre Studie „Nonverbal Overload: A Theoretical Argument for the Causes of Zoom Fatigue“ von Jeremy N. Bailenson [Department of Communication, Stanford University] enthält eine Reihe von theoretischen Behauptungen, die auf früheren, experimentellen Arbeiten basieren.
Reagieren kann man auf diesen Artikel nur mit einer Mischung aus Erheiterung und Frustration. Sowohl den Prämissen als auch den Schlussfolgerungen fehlt die reale Erfahrung, die angesprochenen Probleme in der Praxis zu lösen und die dort am häufigsten genannten Vorschläge sollten nicht als gültige Lösungen betrachtet werden.
Eine „ZEF-Skala“ oder „Zoom Exhaustion & Fatigue Scale“ wurde ebenfalls in einer separaten Studie vorgestellt. Die Voreingenommenheit der Verfasser dieser Studie macht diese eigentlich unbrauchbar, eine sinnvolle Diskussion zu diesem Thema wird sehr schwierig.
Die plötzlich auftretende Anzahl von Online-Meetings fühlte sich für viele so an, als ob man einen Nichtschwimmer in ein tiefes Schwimmbecken schubsen würde. Man würde sich vielleicht durch ungelenke Bewegungen etwas über Wasser halten können, aber irgendwann geht man unter. Erfahrene Schwimmer dagegen behaupten das schwimmen nach etwas Training durchaus Spaß machen kann. Viele wollen sich nicht auf die neue Normalität einlassen und sich die Fähigkeiten aneignen, die sie für den Erfolg brauchen. Sie müssen schwimmen lernen und verstehen, dass sie zwar nicht die gleichen Dinge tun können wie außerhalb des Wassers – dabei gibt es im Wasser viele lustige Dinge zu tun.
Bei Online-Konferenzen ist es ähnlich. Wie viele Dinge erfordert es neue Fähigkeiten und ein paar Werkzeuge.
Das Aneignen und lernen dieser neuen Fähigkeiten verändert die Einstellung der Teilnehmer zu virtuellen Meetings grundlegend.
Diese Änderung der Einstellung geschieht oft sehr schnell und ist nicht auf eine Änderung des Designs von Zoom oder mehr Pausen zurückzuführen.
Stattdessen wird sie davon angetrieben, sich sicherer zu fühlen, besser auszusehen und besser zu klingen. Wenn eine Person über diese Fähigkeiten verfügt, ist sie allen anderen in der Besprechung haushoch überlegen.
Wenn jeder in einem Meeting über diese Fähigkeiten verfügt, verändert dies die Konversation.
Ich schreibe diesen Artikel, weil eine Videokonferenz eine einzigartige Gelegenheit bietet, die Welt zu verbinden und ein exponentielles Wachstum des Wissenstransfers auszulösen.
Wir nähern uns einem „Gutenberg-Moment“, der die Art und Weise, wie wir miteinander interagieren, wie wir lernen und wie wir arbeiten, grundlegend verändern könnte.
Es könnte aber auch eine Kluft zwischen denen, die mitmachen, und denen, die zurückbleiben, entstehen.
Die Interaktion über Video ist gekommen und wird bleiben, die Würfel sind an diesem Punkt bereits gefallen. Das Risiko haben diejenigen, die sich nicht die richtigen Fähigkeiten aneignen, um in dieser neuen Welt zu konkurrieren und dadurch vielleicht zurückfallen. Wenn sie schlechten Ratschlägen folgen, werden sie auf vielen Ebenen überholt, weil sie zwar denken, dass sie sich für ihren Erfolg vorbereitet haben, aber niemand ihnen gesagt hat, dass ihre Online-Video-Präsenz ihr neuer Anzug und ihre neue Visitenkarte ist.
Einige Hintergründe
Gestartet sind wir vor vielen Jahren in der klassischen Veranstaltungstechnik. Im Laufe der letzten Jahre, besonders natürlich mit Beginn der Corona Pandemie, wurde das Interesse an Digitalen Formaten, also Livestreams und Videokonferenzen, immer größer. In dieser Zeit haben wir eine große Anzahl von Veranstaltungen für Unternehmen geleitet und durchgeführt. Ein Großteil dieser Veranstaltungen hatte von privaten Teilnehmern bis hin zu Staatsvertretern eine bunt gemischte Zuschauergruppe.
Was haben wir also gesehen, das sich den Stanford-Forschern zu entziehen schien?
Das Geheimnis ist, dass die Hauptursachen für das, was als „Zoom-Müdigkeit“ bezeichnet wird, überhaupt nichts mit Zoom zu tun haben. Es ist die schlechte Vorbereitung und das Fehlen der notwendigen technischen Hilfsmittel. Wir haben festgestellt, dass die Behebung der technischen Probleme und die richtige Strukturierung der Teilnahme die Art und Weise, wie Menschen Online-Events sehen und erleben, dramatisch verändert.
Wir widmen uns jetzt einmal einigen der angesprochenen Probleme und Lösungen innerhalb des Stanford-Meinungsartikels.
– Unbehagen aufgrund von engem Augenkontakt –
In dem Artikel wird direkter Augenkontakt als Unbehaglich bezeichnet mit der Aussage: „Jeder, der beruflich spricht, versteht die Unbehaglichkeit, stundenlang angestarrt zu werden.“
Für professionelle Redner gilt der Augenkontakt oft als der wichtigste Teil der Kommunikation. Die große Mehrheit der Top-Redner lebt vom Augenkontakt und braucht ihn, um das Beste aus ihren Präsentationen herauszuholen.
Die Tatsache, dass Zoom keinen echten Augenkontakt bietet (jeder schaut leicht nach unten), ist für uns ein größeres Problem als der Augenkontakt selbst.
– Kognitive Belastung –
„Der Benutzer ist gezwungen, sein nonverbales Verhalten bewusst zu überwachen und anderen Personen offensichtliche, künstliche Hinweise zu geben. Beispiele dafür sind, sich im Blickfeld der Kamera zu zentrieren, ein paar Sekunden lang übertrieben zu nicken um Zustimmung zu signalisieren, oder direkt in die Kamera zu schauen, um zu versuchen, beim Sprechen direkten Augenkontakt herzustellen. Diese ständige Überwachung des Verhaltens summiert sich.“
Ob online oder persönlich, Menschen beobachten ständig das nonverbale Verhalten anderer. Dies von persönlichen Meetings zu trennen, vernachlässigt die Anforderungen der realen Interaktion. Ja, wir haben eine Reihe neuer Anforderungen, aber diese stellen nicht mehr kognitive Belastung dar als Überlegungen zu unserem Körperbild, zur Wahl der Kleidung, zu zwischenmenschlichen Dramen, zu Umweltfragen und sogar zum Reisen/Parken für das Meeting selbst.
– Ganztagesspiegel –
„Stellen Sie sich vor, am physischen Arbeitsplatz würde Ihnen während eines ganzen 8-Stunden-Arbeitstages ein Assistent mit einem Handspiegel folgen und bei jeder einzelnen Aufgabe, die Sie erledigen, und bei jedem Gespräch, das Sie führen, dafür sorgen, dass Sie Ihr eigenes Gesicht in diesem Spiegel sehen können. Das klingt lächerlich, aber im Wesentlichen ist es das, was bei Zoom-Anrufen passiert.“
Das ist zwar wahr, aber die Quelle des Problems ist hier falsch beschrieben.
Die Leute wollen nicht den ganzen Tag auf eine schlechte Version von sich selbst schauen.
Die meisten Zoom-Teilnehmer sind schlecht beleuchtet, die Kameras schauen ihnen in die Nase, durch verschwommene Kameras und helle Fenster hinter ihnen.
Ohne eine gewisse technische Vorbereitung sehen die meisten Zoom-Teilnehmer tatsächlich schlecht aus. Wenn jedoch die relativ einfachen technischen Probleme angegangen werden, sehen fast alle Teilnehmer besser aus, als sie es in der realen Welt tun.
Die Kontrolle des eigenen Online Erscheinungsbildes bringt die Möglichkeit, sich immer von seiner besten Seite zu zeigen. Das kann zu einer Reihe neuer Probleme führen, aber es führt nicht zu einer Erschöpfung.
„Es gibt eine wunderbare Illusion, die bei Telefonaten auftritt. Wenn ich jemanden anrufe, habe ich die Vision, dass er 100 % seiner Aufmerksamkeit meiner Stimme widmet. Aber während eines 30-minütigen Telefongesprächs mache ich selbst alle möglichen Aktivitäten, zum Beispiel dehne ich meinen unteren Rücken, koche Nudeln für meine Kinder und führe sogar ein nonverbales Gespräch mit meiner Frau.“
Dies ist zwar eigentlich ein Beispiel dafür, warum wir Zoom oder Videokonferenzen nicht nutzen sollten, aber es weist auf das Problem des Multitaskings während Meetings hin.
Es wird als effizienter angesehen, führt aber oft zu einer geringeren Zielerfassung und einer unzusammenhängenden Kommunikation.
Das Kernproblem, das angegangen werden sollte, ist die Anzahl und Länge von Meetings.
Google zum Beispiel, das sich stark auf Video für Meetings verlässt, plant selten Meetings über 40 Minuten.
Telefonanrufe sind sehr nützlich für Gespräche, aber inhaltliche Meetings, in der richtigen Form über eine Videokonferenz abgehalten, sind unschlagbar produktiv.
Schlussfolgerungen
Fast alle Schlussfolgerungen dieses Papiers stehen diametral zu dem, was wir jeden Tag erfolgreich umsetzen.
„…die Standardeinstellung sollte sein, das Selbstfenster auszublenden, anstatt es anzuzeigen, oder es zumindest nach ein paar Sekunden automatisch auszublenden, sobald der Benutzer weiß, dass er richtig eingeloggt ist.“
Das ist genau das, was wir nicht wollen, dass die Teilnehmer tun. Menschen sollten sich bewusst sein, wie sie sich auf andere projizieren, ob es etwas in ihrem Raum gibt, das ablenkt, usw.
„Ebenso muss es eine Grenze dafür geben, wie groß Zoom einen bestimmten Kopf anzeigt; dieses Problem ist technologisch einfach, da sie bereits herausgefunden haben, wie sie die Umrisse des Kopfes mit der virtuellen Hintergrundfunktion zusammen führen können.“
Wiederum das Gegenteil von dem, was die meisten Fachleute mit Zoom erreichen wollen, denn eine klarere Sicht auf andere macht die Kommunikation einfacher.
Zoom-Benutzer können die Größe ihres Fensters sehr leicht anpassen. Wenn Zoom diesen Vorschlag umsetzen würde, wäre das katastrophal. Die Plattform sollte niemals das einschränken, was der Betreiber selbst verwalten kann.
„Machen Sie „Nur-Audio“-Zoom-Meetings zum Standard, oder noch besser: Bestehen Sie darauf, einige Anrufe per Telefon entgegenzunehmen, um sich den Frust vom Leib zu halten.“
Personen, die diesen Ratschlag befolgen, werden routinemäßig ins Abseits gestellt und übergangen. Sie entscheiden sich dafür, sich selbst eine kleinere Stimme im Meeting und oft auch eine kleinere Rolle im Projekt zu geben.
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Zur Verteidigung des Autors, dieses Papier ist eindeutig nicht vollständig.
„Die meisten der Argumente in diesem Artikel sind hypothetisch. Sie basieren zwar auf früheren Forschungsergebnissen, aber fast keines von ihnen ist direkt getestet worden.“
Leider hat die Mainstream-Presse diesen Artikel so übernommen, als wären sie direkt getestet worden.
Ich hoffe, das dieser Artikel dazu gedacht war, eine Diskussion an zu regen und kein Dogma zu erzeugen.
Die Vorschläge und Schlussfolgerungen in diesem Artikel sind ungenau und potenziell peinlich für diejenigen, die die Ergebnisse als Fakten verstehen. Die meisten dieser Vorschläge werden sich im Laufe der Zeit umkehren und schließlich als rückwärtsgewandt angesehen werden.